Böhmer/Will, Regesten (706-1288)

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BW, RggEbMz 35 Nr. 001a

Datierung: 1251-1259

Quelle

Ohne Aussteller, Empfänger und Empfangsort

Archiv: Böhmer/Will, Regesten

Weitere Überlieferung:

Böhmer/Will, Regesten S.LV-LXVI

Inhalt

Kopfregest:

Einleitende Bemerkungen von Böhmer/Will zu Erzbischof Gerhard I.

Vollregest:

Mochte es mit Recht als ein Missgriff erkannt worden sein, in der Person Erzbischof Christians II. einen altersschwachen Greis auf den erzbischöflichen Stuhl von Mainz erhoben zu haben, so geriet man bei der Wahl seines Nachfolgers in das ebenso wohl bedenkliche Extrem, indem dieselbe auf einen Jüngling fiel, nämlich den Sohn des Wildgrafen Konrad, Gerhard mit Namen. Derselbe war zur Zeit seiner Erwählung im Sommer 1251 noch Subdiakon und erst im Frühjahr 1252 erhielt er die Weihen als Diakon und Priester und bald darauf als Bischof (S. unten Nr. 12 und 17). Er stand wohl kaum in den zwanziger Jahren, als ihm die Inful eines Metropoliten von Deutschland aufs Haupt gesetzt ward.[1]

Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass Gerhard die erzbischöfliche Würde nicht sowohl persönlichen Eigenschaften, als vielmehr Umständen anderer Art verdankte. Zunächst kam natürlich die kirchlich-politische Situation in Betracht. Der Papst hatte in Christian II. nicht den starken Vertreter der kirchlichen Interessen gefunden, dessen er bedurfte, nach der Abdankung des greisen Kirchenfürsten aber mochte er von einer frischen Kraft Besseres erwarten. Es begreift sich daher ganz wohl, dass Innocenz IV. kein Bedenken gegen den jungen Wildgrafensohn hegte, als dessen Wahl unter dem Einfluss des apostolischen Legaten in Deutschland, des Kardinals Hugo, vollzogen wurde. Inwiefern die Nachricht des Chronicon Mog. von der Bestechung des Erzbischofs Heinrich von Embrun, den der Papst in seinem und des Reiches Dienst nach Deutschland geschickt und der von König Wilhelm einen umfassenden Bestätigungs- und Freiheitsbrief erhalten hatte (Böhmer Nr. 114), begründet oder unwahr ist, lässt sich wohl kaum mit Sicherheit feststellen; auffallen muss es aber jedenfalls, dass die unter den schwierigen Umständen stattfindende Neuwahl des Erzbischofs von Mainz auf einen Mann fiel, welcher noch nicht zu der für eine so überaus wichtige Stellung unerlässlichen Reife gediehen war. Außerdem stand Gerhard mit einer Familie, welche sich wenigstens in bezug auf zwei der hervorragendsten ihrer Glieder keineswegs der Gunst des päpstlichen Stuhles erfreute, in nahem verwandtschaftlichem Verhältnis. Diese Familie war die der niedersächsischen Grafen von Eberstein, da die Stiefbrüder von Gerhards Vater Söhne des zweiten Mannes seiner Mutter und des Grafen Albrecht III. von Eberstein waren (S. unten Tafel VI). Gerhards Onkel, Graf Otto von Eberstein, Propst zu Aachen und Utrecht, welcher im Jahr 1239 zum Bischof von Lüttich erwählt worden war, hatte die Anerkennung des römischen Stuhles nicht erlangen können. Ein anderer Onkel Gerhards, Friedrich, Domkustos in Mainz und Propst verschiedener Klöster und Stifter (Hameln, Rasdorf, St. Johann u. St. Peter in Mainz, Nörten), hatte schon in den vierziger Jahren mit einigen anderen Würdenträgern entschiedene Partei für Kaiser Friedrich II. genommen, so dass er in den Bann getan und seiner Pfründen verlustig erklärt wurde. Derselbe schritt nunmehr zu den größten Gewalttätigkeiten und plünderte Klöster und Stifter, so dass noch Erzbischof Werner von Mainz im Jahre 1261 gegen ihn bei Papst Urban IV. Vorstellungen erhob. (Vgl. Schunck, Beiträge z. Mainzer Geschichte. II, 251 und III, 373 flgde; Wolf, Geschichte des Stiftes Nörten. 284.)

Indessen fehlte es dem jungen Wildgrafen auch nicht an Familienverbindungen, welche vorzugsweise geeignet waren, ihm die Wege zur Erlangung des erzbischöflichen Stuhles von Mainz zu bahnen. Zunächst müssen wir der höchst wichtigen und folgenschweren verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem wildgräflichen Haus und der pfalzgräflich-herzoglich-bayrischen Familie Erwähnung tun[2] (S. unten Tafel VI). Denn als Enkel der Agna (?) Tochter des Pfalzgrafen Otto minor von Wittelsbach, einer Nichte Erzbischof Konrads I. von Mainz aus dem Haus Wittelsbach, hatte er den letzteren zum Großonkel. Aus dieser Verwandtschaft erklärt es sich auch, dass nicht nur Gerhards Bruder, Wildgraf Konrad (von 1258‒78?), sondern auch ihr Neffe Emicho (von 1283‒1311) Bischöfe von Freising, und ein Neffe, Gerhard, Propst von Freising wurden. (Vgl. Meichelbeck, Hist. Frising. II, 49 u. 92; Gudenus, C. d. III, 855; Wittmann, Mon. Wittelsbac. in: Quellen und Erörterungen. V, 427 u. 428). Ferner stand Gerhard in nahem verwandtschaftlichem Verhältniss zu dem vielfach verzweigten Dynastengeschlecht der Bolanden, da seine Tante Beatrix in erster Ehe mit Philipp III. von Bolanden vermählt war. Aus dieser Ehe stammte Philipp IV. von Bolanden oder ging Philipp I. von Hohenfels hervor (Siehe unten Tafel V), so dass sich Erzbischof Gerhard und Philipp von Hohenfels gegenseitig als »consanguineus« im eigentlichen Sinn bezeichnen konnten (Vgl. die beiden Urkunden Erzbischof Gerhards von 1253 Febr. 4 und Philipps von Hohenfels von gleichem Datum). Hierdurch war aber auch die Vetterschaft mit Philipp III. von Falkenstein hergestellt, welcher ein Sohn Werners III. von Bolanden war, und eine entfernte Verschwägerung mit den Familien Isenburg-Limburg und Münzenberg, da Luckard, Gemahlin Philipps von Hohenfels, dem ersteren, und Isengard, die Gemahlin Philipps von Falkenstein, dem letzteren Haus angehörte. (S. unten Tafel VII). Gerhard nennt auch den Markgrafen Heinrich von Meißen und Landgrafen von Thüringen »consanguineus« (S. unten zum Jahr 1254 Gudenus I, 640), doch fehlt es an dem nötigen Material, um diese Verwandtschaft aufzuhellen, und es ist daher wahrscheinlich, dass die Bezeichnung »consanguineus« hier nur als Ausdruck freundschaftlicher Beziehung, als Anrede unter Standesgenossen diente. Dies ist wohl auch der Fall in bezug auf den Grafen Bertold von Ziegenhain, welchen Gerhard als »Vetter« bezeichnet (S. unten Nr. 75), während dieser in der Urkunde von 1252 Mai 22 (S. unten Nr. 25) von »familiaritatis vinculum« spricht, das ihn mit Erzbischof Gerhard verbindet und das nicht auf so leichte Art gelöst werden möge (Gudenus, C. d. I, 624). Bezüglich der Brüder Erzbischof Gerhards ist noch zu bemerken, dass Simon Domkustos und später Propst von St. Moritz zu Mainz war (Joannis, Rerum Mogunt. II, 310 und 709; Gudenus, C. d. III, 917). Was von der nicht weiter beglaubigten Nachricht bei Widder, Geographisch-historische Beschreibung der Kur-Pfalz. IV, 120: »Im Jahre 1280 hat der Domküster zu Mainz und Wildgraf Simon das Pfarramt daselbst [Sobernheim] gehabt.« zu halten sei, können wir nicht entscheiden.

Immerhin lassen es die nahen Beziehungen zu höchst angesehenen Familien wohl begreiflich erscheinen, dass sich die Stimmen bei der Wahl eines Erzbischofs von Mainz auf den so jungen Wildgrafen einigten, und dass derselbe auch durch die Vermittlung des apostolischen Legaten die Anerkennung des Papstes fand. Von einer Ernennung durch den Kardinallegaten Hugo, wie das Chronicon Mog. berichtet, kann aber wohl keine Rede sein, zumal sich Gerhard bis zu seiner Weihe zum Bischof häufig »electus« nennt, und diese Bezeichnung auch oft genug in den sonstigen Quellen vorkommt. Indessen will es uns doch etwas befremdlich erscheinen, dass bei der höchst gespannten kirchlich-politischen Lage und dem Kampf der Gegenkönige in Deutschland die Wahl des jungen Wildgrafen auf Seiten des Papstes keinen Schwierigkeiten begegnete, und wir können uns dieselbe nur als das Resultat einer Art von Kompromis denken, indem Innocenz IV. die Folgen eines Schismas in Mainz gefürchtet und den Einflüssen der weitverzweigten Verwandtschaft Gerhards nachgegeben haben mag.

Die Zeit der Erwählung Gerhard's lässt sich nicht genau feststellen, doch muss sie zwischen 1251 Juni 2 und August 14 fallen, da an dem erstgenannten Termin sein Vorgänger Christian II. zum letzten Mal urkundet, er selbst aber bei Gelegenheit der Erzählung seiner Teilnahme an dem Feldzug gegen König Konrad »episcopus« genannt wird. (Vgl. Regest Nr. 2). Am 21 August 1251 (S. unten Nr. 3) erscheint er unter den Zeugen einer Urkunde König Wilhelms als »electus« und ebenso nennt er sich selbst in Urkunden von 1251 November 27, 1252 Februar 25 und März 12. (S. unten Nr. 5, 15 und 16). Die Urkunde König Wilhelms von 1251 Dez. 15 ist rekognosziert durch »Henricus electus Spirensis« etc. »vice dom. Gerardi electi Moguntini.« (Böhmer, Reg. imp. nr 114 und Posse Analecta Vatic. 135). Eine Schwierigkeit macht nur der Widerspruch der Urkunde Gerhards von 1252, August 7, welche Böhmer mit dem Datum 7 idus Aug. 1252, pontif. I und der Bezeichnung als »electus« aus Libri reg. liter. eccl. Mog. VI, 145 (im k. Kreisarchiv zu Würzburg) abschrieb. Er glaubt diese Urkunde wegen des »electus« ins Jahr 1251 setzen zu sollen, allein dies muss wegen des Zusatzes »pontif. I« für unmöglich gelten, da die letztere Angabe sehr wohl zu August 7 passt, wie sich gleich zeigen wird. Übrigens lässt der Inhalt der unten aufgeführten Urkunde von 1252 August 6 gar keinen Zweifel, dass unsere fragliche Urkunde von Aug. 7 zum Jahr 1252 gehört.

Die bischöfliche Weihe erhielt Gerhard durch den Erzbischof Heinrich von Embrun erst 1252 März 24, wie aus dem Regest zu diesem Datum hervorgeht. Die beste Bestätigung aber erhält dasselbe durch zahlreiche Urkunden des Erzbischofs mit der Angabe des Pontifikatsjahrs. Da Urkunden von 1252 April 1 und ebenso von 1253 März 24 (S. unten Nr. 19 und 48) Pontifikat 1 haben, so muss der Anfang desselben jedenfalls vor April 1 und nach oder auf März 24 fallen, was ganz genau zu der Weihe am 24. März 1252 stimmt. Bemerkt sei noch, dass die Urkunde Gerhards von 1253 April 20 bereits pontif. 2 im Datum aufweist.
Auffallen muss es, dass nach dem Jahr 1255 nur noch sehr wenige Urkunden mit Datumsangaben nach Pontifikatsjahren versehen sind. Nur zwei zum Jahr 1257 (s. unten Nr. 191 und 201) enthalten Pontifikat 6, so dass es beinahe scheint, als ob in beiden Urkunden der Anfang des Pontifikats von 1251 an gerechnet wäre.
Rätselhaft ist in der Urkunde von 1259 August 8 die Angabe der Pontifikatszeit mit »anno decimo«.

Über die Jugend und die Erziehung Gerhards ist wenig überliefert. Doch sagt er selbst in einer Urkunde von 1254, dass er von Kindheit an durch die Milch der Mainzer Kirche genährt worden sei. (... quod matricis nostrae ecclesiae Maguntinae, cuius nos ubera ab infantia lactaverunt) Würdtwein, Dioec. Mog. III, 49; Gudenus, C. d. II, 116. Wenn Joannis, Rerum Mogunt. I, 609, Note 5, aus dem Umstand, dass Gerhard »domcanonicus« gewesen sei, ein Argument dafür herleiten will, dass derselbe nicht ‒ wie von älteren Historikern vielfach behauptet wird ‒ dem Franziskanerorden angehört haben könne, so muss dieser Beweis durch unsere obige dem Stammbaum angefügte Ausführung, dass der Gerhardus, um welchen es sich in der von Joannis angezogenen Urkunde handelt, mit unserem Erzbischof nicht wohl als identisch zu betrachten sei, vollkommen hinfällig werden. Dahingegen liegt in der von Joannis hervorgehobenen Tatsache, dass sich Gerhard niemals »frater« nennt, während es der dem Franziskanerorden angehörige Erzbischof Heinrich II. von Mainz (1286‒88) stets zu tun pflegte, ein starker Beweis dafür, dass Gerhard nicht wirklicher Minorit war. Im Catal. Erfurt. aeorum Mogunt. bei Jaffé, Mon. Mog. 2 wird einfach der Name »Gerhardus« aufgeführt, während zu Heinricus hinzugefügt ist »frater«. Neuerdings ist Mone (Zeitschrift f. Gesch. d. Oberrheins. XIX, 56) wieder auf den besagten Irrtum früherer Geschichtschreiber zurückgekommen, indem er sich auf eine Handschrift zu Würzburg »Aus der Ordensgeschichte der Franziskanerprovinz Strassburg von B. Müller« (Chronicon Franciscanorum prov. Argent.) stützt, in welcher es heißt: »1251. Fr. Gerardus wiltcomes de Eppenstein filius et professus in hoc conventn ad dignitatem episcopatus Mogunt. assumptus fuit et sedit usque ad annum 1260; qui Erfordiae mortuus sepultus est apud confratres suos conventuales.« Diese Quelle ist aber keineswegs als authentisch anzusehen und namentlich ist die Bezeichnung Gerhards mit »frater« wohl auf das nicht ganz begründete Streben der Minoriten den Erzbischof zu den Ihrigen zu zählen, zurückzuführen (Vergl. A. Koch, Die frühesten Niederlassungen der Minoriten im rechtsrhein. Baiern. Heidelberger Dissert. 1880; Koch, Die frühesten Niederlassungen d. Minoriten im Rheingebiet. 1882. S. 5, Note). Die Bemerkung Mones, Joannis habe erwähnt, dass Gerhard dem Franziskanerorden angehörte, ist vollkommen unrichtig, da der genannte Historiker, wie aus dem obigen ersichtlich, vielmehr die fragliche Annahme als unbegründet darzutun bemüht war.

Übrigens fehlt es nicht an deutlichen Zeichen, dass Gerhard sehr nahe Beziehungen zu den Minoriten unterhielt. So legte er im Jahr 1255 den Grundstein zu dem Franziskanerkloster in Mainz, sein Beichtvater, auf dessen Rat er sein Testament machte, war der Lektor der Minoriten in Erfurt, in deren Kirche er auch beigesetzt wurde. Hiernach dürfte wohl die Annahme nicht allzufern liegen, dass Gerhard nicht wirklicher Bruder des Ordens des hl. Franziskus war, demselben aber doch als Tertiarier angehörte.

Allem Anschein nach galt es die Einlösung eines Versprechens, die Erfüllung einer eingegangenen Verpflichtung, als Gerhard nach seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl gegen die Staufer zu Feld zog, allein recht ernst muss es ihm mit seiner Vertretung der kirchlichen Interessen nicht gewesen sein. Denn kaum zwei Jahre nach seiner Weihe zum Erzbischof erinnert der apostolische Legat Hugo, als er die wegen Erhebung neuer Wegzölle gegen ihn ausgesprochene Exkommunikation (S. unten Nr. 26 zu 1252 c. Mai) zurücknahm, ihn ausdrücklich daran: Ut ecclesiae romanae sitis eo fortius obligati, quo a nobis vos amplioribus gratiis noveritis honoratos (S. unten Nr. 51 zu 1253, April 15). Auch ließ der päpstliche Legat seine höhere Machtbefugnis den jugendlichen Metropoliten von Deutschland dadurch fühlen, dass er das von jenem über Thüringen verhängte Interdict und dessen Spruch gegen den Markgrafen Heinrich von Meißen und Sophia von Brabant ebenfalls im Jahr 1253 aufhob. (S. unten Nr. 52). Endlich erneuerte Kardinal Hugo schon sehr bald wieder die Exkommunikation Gerhards, wie man aus dem Schreiben des Papstes von 1254 April 8 an seinen Legaten Bernward ersieht, welchen er beauftragte, den Erzbischof Gerhard von der Exkommunikation freizusprechen dummodo satisfaciat super his, pro quibus excommunicatus habetur (S. unten Nr. 83 zu 1254 April 8). Dieser dunkle, mit diplomatischer Feinheit gewählte Ausdruck in bezug auf die zu leistende Genugtuung findet übrigens eine hinreichende Erklärung durch die zarte Rücksicht, welche der Papst auf die Würde des Erzbischofs nahm, als er diesen durch Aufhebung der Exkommunikation in die Möglichkeit versetzte, des hohen Ehrenamts der Krönung des böhmischen Königs Ottokar zu walten.
Am deutlichsten offenbart sich der geringe Grad von Zuverlässigkeit Gerhards dem Papst gegenüber durch zwei interessante Schreiben des letzteren. In dem einen, von 1254 Juli 23, welches an den Erzbischof gerichtet ist, ermahnt er denselben, den König Wilhelm als eine von seiner Hand gesäte und gepflegte Pflanze zu lieben, ihn als einen Hort der Kirche zu ehren und, in die Fußstapfen seines Vorgängers Christian tretend, ihm in der Befestigung seiner Herrschaft beizustehen. (S. unten Nr. 108). In dem anderen Schreiben des Papstes von 1254 Juli 26, das hier in Betracht kommt, redet er dem König Wilhelm nachdrücklich zu, dem Erzbischof Gerhard von Mainz wieder seine Gunst angedeihen zu lassen (Regalem celsitudinem rogamus, monemus, et hortamur attente; quatinus, si qua forsan turbationis aut indignationis, quod absit, molestia contra eundem archiepiscopum animo regali subrepit, ipsam pro nostra et Apostolice sedis reverentia omnino depellens, eum in gratiam solite benignitatis admittas). Gudenus, C. d. I, 643. Also nicht nur durch eindringliche an den deutschen Reichserzkanzler gerichtete Mahnworte suchte Papst Innocenz IV. ein gutes Einvernehmen desselben mit dem der Kirche ergebenen König Wilhelm herzustellen, sondern er bat und ermahnte auch diesen ernstlich, seinen Groll gegen den Mainzer Erzbischof aufzugeben, offenbar zu dem Zweck, dass er denselben wieder für sich und somit für die Partei des Papstes gewinne.

Die jugendliche Unbeständigkeit und Unfertigkeit im Character Gerhards offenbarte sich besonders in den Verwicklungen und Kämpfen, welche er mit dem Markgrafen Heinrich von Meißen und der Sophia von Brabant auszufechten hatte. Am teuersten aber kam ihm die Leichtfertigkeit und Unvorsichtigkeit zu stehen, mit welcher er gegen den Herzog Albrecht von Braunschweig zu Feld zog. Denn er geriet nicht nur durch Überrumplung in Gefangenschaft, sondern es war seine Befreiung aus derselben noch um vieles verhängnissvoller, da er sich bereit finden ließ, um den Preis der Loskaufung aus der Hand des Feindes seine Stimme bei der Königswahl an den Grafen Richard von Cornwallis zu verschachern. Dieser Schandfleck der Käuflichkeit wird ewig unauslöschlich an dem Character Gerhards haften, wenn es auch denkbar ist, dass politische Gründe den Mainzer bewogen haben mögen, nach dem Vorgang des Erzbischofs Konrad von Köln und anderer mächtiger Fürsten, sowie wohl auch unter dem Einfluss des rheinischen Bundes dem fremden Fürsten seine Stimme bei der deutschen Königswahl zuzuwenden.

Ein Ereignis von hoher sozialpolitischer und selbst reichsgeschichtlicher Bedeutung fiel in das Pontifikat Erzbischof Gerhards, nämlich die Gründung des rheinischen Bundes. Von den Faktoren, welchen ein Anteil an der Entstehung desselben beizumessen ist, blieb einer der bedeutendsten, der Einfluss der Kirche nämlich, seither nahezu unbeachtet. Es ergibt sich daher die Notwendigkeit, diesen von dem Oberhaupt der Kirche, Papst Innocenz IV. ausgehenden und durch die kirchliche Hierarchie fortgepflanzten Einfluss an dieser Stelle um so mehr nach Gebühr zu beleuchten, als gerade der Metropolit von Mainz an der Errichtung und Förderung des rheinischen Bundes in weit höherem Grad beteiligt war, als man seither gemeinlich anzunehmen pflegte.

Der dem Predigerorden angehörende päpstliche Kardinallegat Hugo, welcher sich von 1251 bis zu seinem Tod im Jahr 1263 in Deutschland aufhielt, verkündete durch ein Schreiben von 1253 April 15 (S. unten Nr. 51) dem Erzbischof Gerhard, dass er ihn, seinen Bitten entsprechend, von der wegen Erhebung neuer Wegzölle über ihn verhängten Exkommunikation freispreche (Cum igitur vos ab Excommunicationis sententia, qua pro extorsione novorum Pedagiorum eratis astricti, duxerimus absolvendos; Nos vestris precibus benignum impertientes assensum; quod ... nullum propter dictam excommunicationis sententiam preiudicium generetur, auctoritate vobis presentium indulgemus. Gudenus, C. d. I, 636). Diese urkundlich bezeugte Tatsache findet auch eine Erwähnung in den Annales Erfordenses (S. unten Nr. 52) zum Jahr 1253 mit dem Zusatz, dass der Legat über den Erzbischof vor beinahe einem Jahr »pro quodam theloneo« die Exkommunikation ausgesprochen habe. Demgemäß befand sich also Gerhard etwa von dem Mai 1252 bis Mitte April 1253 wegen Erhebung eines Wegzolls im Bann. Nun erfahren wir aber durch eine Bulle Papst Innocenz' IV. von 1254 April 8 (S. unten Nr. 83), dass der Mainzer Erzbischof auch zur besagten Zeit wieder durch den Kardinallegat Hugo exkommuniziert war, da der Papst durch die zuletzt angeführte Bulle seinem Legaten Kardinal Bernard den Auftrag erteilte, den Erzbischof von der Exkommunikation freizusprechen, damit er den König von Böhmen weihen könne. An diese Freisprechung wurde jedoch die Bedingung geknüpft »dummodo satisfaciat super his, pro quibus excommunicatus habetur« und zugleich die Drohung beigefügt: »Quod si recusaverit satisfacere, Tu dilectis filiis Capitulo Maguntino ‒ [verbum omissum], ut per aliquem de Suffraganeis ipsius Ecclesie, Regem eundem faciat coronari. Et si prefati, Capitulum, id noluerint efficere, tunc hoc uni de Suffraganeis ipsius, vel alicui alii Pontifici quem ad id idoneum fore cognoveris, eadem auctoritate committas, qui eiusdem Archiepiscopi vice, coronationis ipsius officium seu ministerium exequatur.« (Gudenus, C. d. I, 639.)

So nahe nun die Frage liegt, was unter dem obigen »super his pro quibus excommunicatus habetur« zu verstehen sei, ebenso nahe liegt unseres Erachtens auch die Antwort. Der Kardinallegat Hugo hob den wegen neuer Zölle über den Erzbischof ausgesprochenen Bann am 15. April 1253 doch gewiss nur unter der Bedingung oder Voraussetzung auf, dass jener die Veranlassung zur Kirchenstrafe gänzlich beseitige; dies scheint aber nicht geschehen zu sein und somit verblieb die Exkommunikation noch in Kraft oder es wurde dieselbe ausdrücklich erneuert. Somit sah sich der Papst veranlasst, in Rücksicht auf die Weihe des Königs von Böhmen selbst die von Kardinal Hugo ausgesprochene Sentenz durch den Legaten Bernard zurücknehmen zu lassen, freilich unter der ausdrücklichen oben angeführten Bedingung und einer an die Nichterfüllung derselben geknüpften Drohung.

Aus dem oben dargelegten Zusammenhang der Zurücknahme der Exkommunikation durch den Kardinallegaten Hugo von 1253 April 15 und der päpstlichen Bulle von 1254 April 8 gewinnt auch die dunkle Stelle in der letzteren »super his pro quibus excommunicatus habetur« helles Licht, da dieselbe sich allem Anschein nach auf die Wegzölle bezieht. Der Erzbischof stand infolge des von dem Papst auf ihn ausgeübten Druckes von denselben ab und leistete Genugtuung, indem er gerade ein Vierteljahr nach der dem Kardinallegaten Bernard von dem Papst gegebenen, mehrfach erwähnten Kommission am 13. Juli 1254 zugleich mit vielen geistlichen und weltlichen Herren den Bund mit den Städten, dessen Hauptzweck die Beseitigung »ungerechter Zölle« war, beschwor (iuraverunt, sua thelonea iniusta sicut et nos tam in terris quam in aquis benigne et liberaliter relaxantes).

Ferner brachte der päpstliche Kardinallegat Capucci das überaus lebhafte Interesse der römischen Kirche an dem rheinischen Friedensbund nicht nur durch die Tatsache zum offenkundigen Ausdruck, dass er am 7. Oktober 1254 zur Aufrechthaltung und Förderung desselben (Nos autem ad eam manutenendam et augmentabiliter conservandam adhibere nostram sollicitudinem cupientes etc.) den Mainzer Dechant Johann eindringlich ermahnte, Städte und Herren zur Teilnahme an dem Friedensbund zu veranlassen, sondern er sprach es auch geradezu aus, dass durch jenen die Ehre Gottes, der römischen Kirche und des Königs Wilhelm befördert werde (honor dei et Ecclesiae romanae ... procuratur). S. unten Nr. 118.

Endlich erübrigt noch auf zwei Briefe Papst Innocenz' IV. selbst hinzuweisen, welche unverkennbare Anklänge an die Bestrebungen des rheinischen Bundes zur Herstellung ruhiger und geordneter Verhältnisse gerade in der Zeit der Entstehung desselben enthalten. Das erste an Erzbischof Gerhard gerichtete Schreiben (1254 Juli 23) enthält dringende Mahnungen zur Eintracht mit König Wilhelm, da hierdurch die Absichten der Rebellen am sichersten vereitelt werden könnten. (Quid enim molestum vobis rebellium molimina ingerere poterunt, si fuerit inter vos conformitas animorum, aut quid vobis non succedet ad votum, si vos mutue connexionis glutino salubriter curaveritis continere?). Der andere nur drei Tage später (Juli 26) ausgefertigte Brief des Papstes weist den König Wilhelm darauf hin, dass er den Übermut der Gottlosen und Rebellen nicht leichter besiegen könnte, als durch einträchtiges Zusammenwirken mit dem Erzbischof von Mainz (... et indevotorum rebelliumque superbia, ex hoc in sua facilius superabitur et deficiet vanitate).

Die Bemühungen des Papstes, durch Kardinal Hugo auf die Bekämpfung der häufigen Plünderungen und gewalttätigkeiten in den Rheinlanden nach Kräften hinzuwirken, fanden in einem zeitgenössischen, erst vor einigen Jahren wenigstens teilweise zutage geförderten Gedicht (Chron. rhytmici Colon. fragmenta. ed. Deycks. in: Lacomblet, Archiv f. d. G. d. Niederrheins. II, 366 und Waitz in: M. G. SS. XXV, 377) eine lebhafte Schilderung. Da diese Quelle, wie es scheint, noch nicht zur Darstellung der Geschichte des rheinischen Bundes benutzt ward, so sehen wir uns umso mehr veranlasst, hier die in der erwähnten Hinsicht hervorragende Stelle des besagten Gedichts mitzutheilen:

Postea legatus hugo pape veneratus
hos obiurgatus culpam pandendo reatus
monstrat precisos a papa talia nisos
concordes visos absolvit obinde recisos
pontifices dictos facit abiurare rapinas
censet astrictos monet inde timere ruinas.
Qui cum discessit . morbus radice recrescit
pax patrie cessit . iterata rapina virescit.
Fiunt peiora dum sperantur meliora,
Omnibus absque mora . multos nudat brevis hora
et non maiores tantum . sed et inferiores
fiunt raptores . corrumpunt crimina mores.
Post hec adveniens Rex Richardus sapienter
tollere vim cupiens nequiens regnare potenter
Invocat auxilium pape . quod spiritualem
exercens gladium iuvat illo materialem.
Mandat papa volens . magnos vetat atque pusillos
vectigale dolens . magis excommunicat illos.
Que licet est lata sentencia seu publicata
est occultata . ne sint ea visa vetata
que dedit et prestat assisia non moderata
quamvis infestat . res publica fitque gravata
.

Hoffentlich sind durch unsere Darstellung die Fäden sichtbar geworden, welche der Papst durch seine Legaten sowie auch gewissermaßen mit eigener Hand zugunsten des rheinischen Bundes (pax generalis) spann, und auch das Dunkel, welches über der Wandelung schwebte, durch welche Erzbischof Gerhard aus einem ungerechten Zollherrn ein eifriger Bekämpfer der neuen und ungerechten Zölle wurde, indem er sich dem rheinischen Bund anschloss und vermöge seiner großen kirchlichen und weltlichen Gewalt sogar eine hervorragende Stelle in demselben einnahm, dürfte geschwunden sein.

Allerdings ist es eine ganz andere Frage, ob Gerhard aus eigener Initiative und freiwillig oder auf Antrieb von anderer Seite und vielleicht sogar gezwungen die auf Bekämpfung der Gewalttätigkeiten gerichteten Zweck des rheinischen Bundes zu den seinigen machte. Wir stehen nicht an, die letztere Alternative als der Wirklichkeit entsprechend anzusehen. Welche höhere Potenz konnte aber auf die Entschlüsse des Mainzer Metropoliten in der fraglichen Angelegenheit einwirken und die Schritte desselben lenken? Offenbar nur der Papst! Und dass dieser, wie er nach unserer obigen Ausführung die Anregung zur Gründung des rheinischen Bundes gab, bei diesem Werk auch dem Erzbischof Gerhard die Rolle eines einflussreichen Helfers und Mitarbeiters anwies, welche dieser auch in der Tat übernahm und mit Eifer durchführte, glauben wir genugsam dartun zu können.

Bis auf die neueste Zeit wurde der rheinische Bund vom Jahr 1254 nur als »Städtebund« aufgefasst und als solcher bezeichnet. (Vgl. Busson, Ueber einen Plan, an Stelle Wilhelms von Holland Ottokar von Böhmen zum römischen König zu wählen. in: Archiv f. österr. Geschichte. Bd 40, S. 153.) Erst Weizsäcker hat das Verdienst, in seiner tiefgehenden Schrift »Der rheinische Bund. 1254« (Tübingen. 1879) dargetan und nachdrücklich hervorgehoben zu haben, dass die fragliche Vereinigung ein »Bund von Städten und Herren« war, »dass sämtliche uns erhaltene Akten sich auf gemischte Tage, nicht auf bloße Städteversammlungen beziehen«, und dass »die meisten Bundestage sicher auch wirklich von Herren besucht waren.« (S. Seite 73, 121 und 123.) Ebenso hat Zurbonsen, Der rheinische Landfriedensbund von 1254 im deutschen Norden. in: Forschungen z. d. G. XXIII, 294 ausgeführt, »dass in dem von den Mindenern angezogenen Bündniss neben den Städten als koordinierte Mitglieder Edle auftreten«, »dass das Herrentum ein wesentlicher Bestandtheil des rheinischen Bundes« gewesen und dass »eine sehr rege Teilnahme seitens derselben vorauszusetzen sei«.[3]

Ferner interessiert hier besonders der Nachweis, dass, wie auch schon Busson, Zur Geschichte des grossen Landfriedensbundes deutscher Städte von 1254. S. 30 andeutet, die Stadt Mainz nebst Worms, eine vorörtliche, hervorragende Stelle »mit faktischem Vorzug von Mainz« im Bund einnahmen, »die korrespondierenden Städte« des Bundes waren. (S. 5, 95, 97, 162 flgde.)

Von besonderer Bedeutung ist es, dass die niederrheinisch-westfälischen Städte nicht von Köln, sondern von Mainz in den Bund aufgenommen wurden. Ganz richtig bemerkt Weizsäcker a. a. O. 168: »Es ist nämlich nicht Köln, dem ihr Schwur gilt, was auf die Aufnahme durch Köln hindeuten würde, sondern es ist ausdrücklich jedesmal gesagt, dass sie der Stadt Mainz und den andern ungenannten oberen Bundesstädten geschworen haben, durch diese sind sie alle aufgenommen worden, formell wohl wesentlich durch Mainz allein für sich und für die anderen.« Was Zurbonsen in der Westdeutschen Ztschr. von Hettner und Lamprecht. Jahrg. II, Heft I, 40 flgde. zur Entkräftung der Ansicht Weizsäcker's und zum Beweis, »dass der Beitritt der niederrheinisch-westfälischen städte auf den Einfluss Kölns zurückzuführen ist«, beibringt, hat uns nicht überzeugt; dahingegen bemerkt er S. 41 mit gutem Grund: »Mainz selbst wird gebührend erwähnt [in der Gründungsurkunde vom 13. Juli 1254], weil dasselbe, wie es an dem Zustandekommen des Bundes das wesentlichste Verdienst hatte, in der Gründungsurkunde auch in hervorragender Weise erscheint.«

In bezug auf die Herren, welche dem rheinischen Bund angehörten, betont Weizsäcker in seiner angeführten Schrift, S. 162, Note 4 ausdrücklich: »Von einer entsprechenden vorörtlichen Stellung einzelner Herren sieht man nichts« und in seinem Aufsatz »Zum rheinischen Bund von 1254« in Löher's Archivalischer Zeitschrift. IV, 278 legt der genannte Forscher seine Überzeugung, dass der Mainzer Erzbischof keine besondere hervorragende Stelle im Bund einnahm, in entschiedener Weise an den Tag, indem er sagt: »Doch der Kurfürst wollte und sollte eben als die leitende Stelle erscheinen, und zwar er allein, und so wurde es nun in unserer Urkunde [von 1255, Juli 12 a. a. O. 273] dargestellt für Jeden, der es glauben mochte.«

Indem wir die letztere von Weizsäcker vertretene Ansicht für unrichtig halten, glauben wir Beweise dafür beibringen zu können, dass Erzbischof Gerhard die Bestrebungen, welche der rheinische Bund zum Zweck hatte, fleißig förderte, und dass er das Gewicht seines Ansehens zugunsten desselben in die Wagschale warf. Hieraus erklärt es sich dann auch wohl, dass er im Bund selbst eine über die andern Glieder desselben erhabene Stellung auf verschiedene Weise betätigte.

Schon am 3. April 1254 ermöglichte er der Stadt Oppenheim durch Befreiung derselben vom Bann den Eintritt in den zwischen Mainz und Worms geschlossenen Bund, obgleich er selbst erst am 3. Juli 1254 denselben beschwört, nachdem der Papst am 8. April des genannten Jahres die Aufhebung der über ihn ausgesprochenen Exkommunikation angeordnet hatte.
Auf dem Reichstag zu Worms am 6. Febr. 1255 verkündigt König Wilhelm vor zahlreichen Angehörigen des Landfriedensbundes die mit dem Bestreben desselben in vollster Harmonie stehenden, von dem Erzbischof Gerhard für sich allein gefällten Urteilssprüche in bezug auf Strandrecht[4] und Falschmünzerei. (Ad quod per eundem archiepiscopum sententiatum fuit et etiam diffinitum, quod talis consuetudo de cetero cessaret omnino, cum detestabilis et perniciosa existat. Mon. Germ. LL. II, 371.)

Die vor den übrigen Bundesgliedern hervorragende Stellung Gerhards zeigt sich besonders durch die in den Quellen ausdrücklich hervorgehobene Vermittlerrolle, welche er wiederholt spielte. So zuvörderst bei dem zwischen Angehörigen des Bundes und mehreren der mächtigsten rheinischen Adelsgeschlechter drohenden Kampf, nachdem Ingelheim, die Burg Werners von Bolanden, durch Verbündete des Landfriedens zerstört worden war. Was möchte wohl schon wenige Monate nach der Gründung des Landfriedensbundes aus demselben geworden sein, wenn es nicht vorzugsweise den Bemühungen und dem Einfluss Gerhards (Mediante vero episcopo Moguntino et silvestri comite et aliis dominis. Ann. Wormat. in: Böhmer, Font. II, 189 und M. G. SS. XVII, 57.) gelungen wäre, im Herbst des Jahres 1254 eine Waffenruhe zwischen den dem Bund angehörigen Städten und den Gliedern angesehener Adelsgeschlechter, die übrigens alle in verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm standen, zuwege zu bringen? Diese »treuga« von 1254 Nov. 10 wurde nach der erst neuerdings von Weizsäcker in Löher's Archival. Zeitschrift IV, 273 herausgegebenen Urkunde auf einer Versammlung von Städten und Herren zu Mainz am 30. Juni 1255 »in presencia domini Adolphi comitis de Waldeck imperialis aule iusticiarii« bis zum 11. November 1255 ausgedehnt und dann auf einer Versammlung von Städten und Herren zu Bingen am 11. Juli 1255 »mediante venerabili patre ac domino nostro archiepiscopo Moguntinensi, nobilibus ac nobis« bestätigt. Wir sehen also hier den Erzbischof zum zweiten Mal in der nämlichen Vermittlerrolle auftreten, in welcher wir ihm schon 1254 November 10 begegneten, und wir können die Uumstände, von welchen sie begleitet war, gar nicht der feinen Deutungen bedürftig halten, welche Weizsäcker denselben zuteil werden lässt und welche den scharfsichtigen Forscher hinsichtlich einiger den Erzbischof Gerhard betreffenden Momente unseres Erachtens auf unrichtige Fährten drängten. Derselbe glaubt nämlich zu der Annahme berechtigt zu sein, dass Erzbischof Gerhard samt seinem Anhang nicht zu Mainz erschienen sei, wo Waldeck auftrat; dieser habe auf sein Vorrecht als Stellvertreter des Königs nicht verzichten können, andererseits aber habe der Kurfürst als vornehmstes Mitglied der Herrenpartei die »leitende Vermittlerrolle« spielen wollen, und manche Herren möchten ihm darin zugestimmt haben. Wie sich der Erzbischof nicht zu Mainz eingefunden, so sei der Stellvertreter des Königs nicht mehr in Bingen anwesend gewesen. Dorthin sei man gegangen, um dem Kurfürsten »den Gefallen zu tun«, und es sei »nachträglich das letzte Mittel aufgewendet worden, um ihn an erster Stelle erscheinen zu lassen«. Zuvörderst enthält die von Weizsäcker mitgeteilte Urkunde keinerlei Andeutung darüber, dass Erzbischof Gerhard auf der Versammlung zu Mainz nicht zugegen gewesen sei; nicht ein einziger der Anwesenden, dem Landfriedensbund angehörigen Herren wird genannt, sondern nur der Stellvertreter des Königs, dessen ungewöhnliche Erscheinung doch wohl einer Erwähnung gewürdigt werden durfte, ohne dass durch dieselbe der Reichserzkanzler in Schatten gestellt wurde.

Eine andere Frage ist es, ob alle an dem bestehenden Streit beteiligten Herren, namentlich auch solche, die nicht zu dem Bund gehörten, an der Versammlung zu Mainz teilgenommen? Wir glauben dies entschieden in Abrede stellen zu sollen und zwar vorzugsweise im Hinblick auf die zweite Versammlung zu Bingen, welche aus demselben Grund wie die erste zu Mainz berufen worden war. Was hier nicht vollständig hatte erreicht werden können, das wurde dort erzielt, und zwar ganz wie am 10. November 1254 »mediante archiepiscopo Moguntinensi«. Hier zeigt sich also der gewaltige Einfluss, den Erzbischof Gerhard in einer den rheinischen Bund nahe berührenden Angelegenheit ausübte, hier tritt der Kurfürst offenbar tatsächlich an »erster Stelle« auf und kann von einer Wahrung des »Scheins› nicht die Rede sein; durch den Erfolg, welchen er zu Bingen davontrug, tat Gerhard dem Bund »einen Gefallen« und seiner »leitenden Vermittlerrolle« gelang es, der Fehdelust mancher Herren Einhalt zu tun, den Sinn derselben zum Frieden zu wenden!

Von besonderer Bedeutung ist es jedenfalls, dass Erzbischof Gerhards Siegel zugleich mit denjenigen der Städte Mainz, Worms und Speyer an das Aktenstück gehängt wurde, dessen Aussteller die drei genannten und andere Städte waren. Hieraus ergibt sich in evidenter Weise, dass zur Bekräftigung der in der Urkunde getroffenen Bestimmungen (ordinationes et statuta) die Beihilfe und die durch das Siegel bestätigte Anerkennung des Erzbischofs von Mainz notwendig erschien, (... ad premissorum autem memoriam ac debitam firmitatem has litteras sigillo venerabilis patris domini nostri Gerhardi archiepiscopi Moguntinensis, Moguntinensium Wormaciensium et Spirensium, nomine omnium civitatum pacis federe coniunctarum, fecimus communiri. Löher, Archivalische Zeitschr. IV, 274.) und, dass also diesem eine hervorragende Position bei der Herstellung der Landfriedenseinigung eingeräumt worden war. Wenn Weizsäcker (S. 119 flgde) gegen Böhmer und Busson mit Recht betont, dass die Versammlungen zu Mainz am 12. März und 26. Mai 1256 (Weizsäcker, a. a. O. 33) nicht reine Städtetage, sondern auch von Herren besucht waren, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass auf jenen drei Tagen der städtische Einfluss präponderierte. (Vergl. Zurbonsen, Zur Geschichte des Rhein. Landfriedens von 1254. in: Westdeutsche Ztschr. f. Geschichte und Kunst. Herausgegeben von Hettner und Lamprecht. Jahrg. II, Heft I, 48.) Es muss dies um so mehr auffallen, als in jenen Versammlungen zum ersten Mal ein politisches Moment, und zwar kein geringeres als die Stellungnahme des Bundes zu der Wahl eines neuen Königs durch die Kurfürsten, Gegenstand der Verhandlungen und Beschlussfassung war. Es muss bei dem ersten Blick auffallen, dass an diesen so wichtigen Kundgebungen des rheinischen Bundes keiner der drei geistlichen Kurfürsten Anteil nimmt. Gerhard war freilich durch einen sehr triftigen Grund verhindert, sich an irgend einem Akt, zu welchem Freiheit der Bewegung gehört, zu beteiligen, da er ja während des ganzen Jahres 1256 zu Braunschweig gefangen gehalten wurde, und es will uns scheinen, als ob der Versuch des Bundes, auch in die Politik des Reiches einzugreifen, gerade mit der Gefangenschaft Gerhards in Zusammenhang zu bringen sei. Wäre der Mainzer Erzbischof als das faktische Haupt der am Bund beteiligten Herren in jenem kritischen Moment nach dem plötzlichen Tod König Wilhelms nicht verhindert gewesen, seinen Einfluss als oberster Reichsbeamte und mächtigster Kurfürst bei den ersten Schritten zur Neuwahl eines Königs zur Geltung zu bringen, so würde der rheinische Bund wohl kaum Vveranlassung genommen haben, jene reichspolitische Angelegenheit in den Kreis seiner Wirksamkeit zu ziehen. Hieraus lässt sich aber abnehmen, wie belangreich die Stellung des Mainzer Erzbischofs innerhalb des rheinischen Bundes war, da dieser allem Anschein nach aus Veranlassung der Abwesenheit jenes und gewissermaßen um für die Autorität desselben bei einer etwaigen Doppelwahl einigen Ersatz zu bieten (vgl. Weizsäcker a. a. O. 196 flgde), sein Programm erheblich erweiterte, und die durch Gerhards unfreiwillige Teilnahmlosigkeit an den Geschäften des Reiches innerhalb des Bundes entstandene Lücke auch nicht durch einen der beiden andern geistlichen Kurfürsten ausgefüllt wurde.

Eine kräftige Stütze unserer Ansicht von dem hervorragenden Anteil, welchen Erzbischof Gerhard an der Gründung und Verbreitung des rheinischen Bundes nahm, glauben wir aus dem Verhältniss Arnolds des Walpoden zum Bund und aus der Tätigkeit, welche dieser im Interesse desselben entfaltete, herleiten zu können. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass der Walpode gleich dem Mainzer Domdekan Johann, der im Auftrag des päpstlichen Legaten Peter Capucci ein zu Förderung der Interessen des Bundes bestimmtes Schreiben desselben an den Kölner Domscholaster besorgte (s. unten), für den rheinischen Bund erhebliche Dienste leistete und mit der Führung bestimmter Geschäfte für denselben betraut war. Von wem anders aber konnte er den Auftrag hierzu erhalten haben, als von seinem Herrn, dem Erzbischof Gerhard? Also war es dieser, welcher durch Dienstleistungen eines seiner Beamten die Sache des Bundes förderte und den unmittelbarsten Einfluss auf denselben ausübte.

Dieses Verhältniss wurde aber bis jetzt von allen Forschern, welche den rheinischen Bund behandelten, misskannt und beinahe ausnahmslos in einer der Wirklichkeit widersprechenden Weise aufgefasst. Ein Blick auf die einschlägige Literatur zeigt nämlich, dass Arnold der Walpode von jeher und bis zur Gegenwart von allen Geschichtschreibern, den einzigen Busson ausgenommen, als der Stifter des rheinischen Bundes angesehen und gerühmt wurde. Schaab fügt auf dem Titel seiner zweibändigen »Geschichte des grossen rheinischen Städtebundes.« sogar noch bei: »gestiftet zu Mainz im Jahre 1254 durch Arnold Walpod«. Auch Wilhelm Arnold schließt sich an vielen Stellen seiner »Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte.« (Bd II, 70, 71, 174, 369) ohne Bedenken der hergebrachten Meinung an. Ebenso Berthold, Geschichte der deutschen Städte. II, 209 flgde. Mit besonderer Wärme vertritt dieselbe Weizsäcker, Der rheinische Bund. S. 165 und 166 gegen Busson, Zur Geschichte des grossen Landfriedensbunds u. s. w. 12 und 13, welcher bestimmt erklärt: »Wir sind nicht berechtigt, Arnold Walpod den Stifter des Bundes zu nennen.« .... »Ebensowenig aber dürfen wir ihn als den späteren Vorsteher des Bundes bezeichnen.« Endlich feiert jüngsthin Hegel in seiner Verfassungsgeschichte von Mainz 50 flgde und 59 nicht ohne Emphase den Arnold Walpod als den »Stifter des rheinischen Bundes« und als den »eigentlichen Leiter der Bundespolitik«, zu dessen Verherrlichung er in die Worte ausbricht: »Nicht sein Amt gab ihm solches Ansehen vor allen andern Bürgern; aber er war derjenige, der den Rat seiner Stadt, in welchem jetzt der Schwerpunkt ihrer Regierung lag, mit der Kraft seines Geistes leitete und ihm zu dem grossen Unternehmen den Impuls gab. Er hat dadurch seinen Namen in der deutschen Geschichte unsterblich gemacht.« Der erste dieser Sätze, den übrigens Hegel selbst auf S. 59 durch die Bemerkung erheblich modifizierte, »dass Arnold sein hohes Ansehen nicht dem Walpodenamt allein verdankte«, fordert zu entschiedenem Widerspruch auf, da das Walpodenamt an und für sich eines der höheren war, in der Angelegenheit des rheinischen Bundes aber eine ganz besonders hervorragende Bedeutung gewinnen musste. Denn da der Bund ursprünglich nur gegen »ungewöhnliche und unrechtmässige Zölle« gerichtet war, die ungerechten Zollherren aber für Straßenräuber gelten, so ist es »ganz natürlich, dass ein Bund, der sich gegen Raub und Gewalt im Zollwesen setzte, auch die allgemeine Tendenz gegen Raub und Gewalt in sich schließt«. (Weizsäcker a. a. O. 159.) Demgemäß musste der Gedanke, welcher den rheinischen Bund ins Leben rief, in seiner Ausführung den Wirkungskreis des Walpoden (praefectus violentiarum) als »Polizeimeisters« (etwa einem »Polizeirat«, »Polizeiinspektor«, »Polizeidirektor« in der Scala der Titulaturen höherer Polizeibeamten entsprechend) aufs engste berühren und nichts lag näher, als dass die Geschäfte, welche zur Gründung und Förderung eines mit dem Ressort des Walpodenamtes so nahe verwandten Instituts verknüpft waren, wenigstens teilweise in die Hand desjenigen Beamten gelegt wurden, der mit denselben infolge seines Berufs jedenfalls vertraut und zur Besorgung derselben verpflichtet ward. (Über die amtlichen Geschäfte der Walpoden handelt die Introductio zu dem Elenchus Waltpodiorum in Gudenus, C. d. II, 496 flgde.). Ist somit die Tatsache, dass Arnold der Walpod mit Eifer die dem rheinischen Bund zugrunde liegende Idee erfasste und sich deren Ausführung angelegen sein ließ, ohne Zweifel als ein Ausfluss seines Amtes anzusehen, so liegt nunmehr die Frage nicht fern: von wem wurde er in dasselbe eingesetzt, in wessen Auftrag erfüllte er seinen Beruf? Hier gibt uns Hegel a. a. O. die Antwort: »das Walpodenamt war, wie die höheren Richterämter, ein erzbischöfliches Amt und wurde fortwährend von den Erzbischöfen verliehen.«

Mit dem nächsten Schritt nun stehen wir unmittelbar vor der Folgerung: Da die Geschäfte, welche der Walpode im Interesse des rheinischen Bundes besorgte, kraft Auftrags und gewissermaßen unter der Verantwortung des Erzbischofs verrichtet wurden, so gebührt doch wohl diesem das Verdienst, seine Machtfülle für den rheinischen Bund eingesetzt und den Bestrebungen desselben dadurch Nachdruck verliehen zu haben; sein Diener aber darf doch gewiss nur den ehrenden Lohn in Anspruch nehmen, im Namen seines Herrn amtliche Geschäfte, die seiner Berufssphäre angehörten oder doch dieselbe nahe berührten, pflichtschuldigst besorgt zu haben.

Wenn es sich auch in unserem Fall um die sozialpolitisch hochwichtige Angelegenheit der Sicherung des Eigentums gegenüber einem maßlosen Zollerpressungssystem handelte, wenn es auch die Übung der Werke der christlichen Barmherzigkeit galt ‒ wir verweisen hier nur auf die Darlegung Weizsäckers a. a. O. 179 und 180 in bezug auf die Unterstützung der Armen durch den Bund und auf die domus pacis (Armenhäuser) ‒ so konnte ein Beamter, der sich in der Vollstreckung des Willens seines Herrn an jenen Humanitätsbestrebungen beteiligte, dadurch doch wohl kaum den Lorbeer eines Wohltäters der Menschheit erringen oder gar »seinen Namen in der deutschen Geschichte unsterblich machen«. Übrigens wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass das ungewöhnliche und auffallende an der vermeintlichen Erscheinung Walpodos als Erfinders und Begründers des rheinischen Bundes auch dem Gefühl Weizsäckers (a. a. O. 166) nicht entging, der seiner Verwunderung und Überraschung durch den Ausruf: »Man muss sich ja glücklich schätzen, wenn man aus den bürgerlichen Kreisen jener Zeit einmal einen Namen hat, der für eine bestimmte Wirksamkeit bezeugt ist« einen kräftigen Ausdruck verlieh, welchem Hegel, Verfassungsgeschichte von Mainz 51, Note 3 unter Wiederholung der Worte Weizsäckers »ganz beistimmte«.

Endlich muss noch ausdrücklich hervorgehoben werden, dass nur ein einziger Chronist, und zwar in dem von den Rheinlanden so weit entfernten Stade, die Verdienste des Walpoden um den rheinischen Bund kennt und rühmt. Alberti Annales Stadenses (M. G. SS. XVI, 373) berichten nämlich: A. D. 1255. Quidam validus civis in Moguntia coepit hortari concives, suos, ut pro pace restauranda iuramento se invicem constringerent. Vocaverunt eum Waltbodonem. Non placuit res principibus nec militibus, sed neque praedonibus et maxime hiis, qui habebant assidue manus pendulas ad rapinam, dicentes esse sordidum mercatores habere super homines honestos et nobiles dominatum. Bei dem ersten Blick auf diese Vorstellung eines nicht gerade immer »glaubwürdigen« Autors, dessen bekannte Ungenauigkeit durch unsere Stelle eine farbenfrische Illustration erhält, muss ersichtlich werden, dass derselben gegenüber eine einschneidende Kritik ganz wohl am rechten Platz ist. Denn einmal kann der Bericht in seinem wesentlichsten Teil nur als gänzlich verfehlt angesehen werden, da er eigentlich von dem Bund der Mainzer mit anderen Städten Kunde geben will, tatsächlich aber von einem Bund der Mitbürger des Walpoden unter sich, welcher gar nicht existierte, und von einem Schwur der Mainzer Bürger untereinander erzählt. Die Worte: ... »iuramento se invicem constringerent«, welche sich auf die concives des Walpoden beziehen, stehen in offenbarem Connex zu der Stelle in der Gründungsurkunde des rheinischen Bundes von 1254 Juli 13: ... »prestitis iuramentis nos invicem astringendo«, welche von den »udices et consules et universi cives Mogotinenses Colonienses Wormacenses Spyrenses Argentinenses Basilienses ac alie civitates sancte pacis federe coniurate« berichtet, aber der Chronist korrumpierte durch Einfügung von »nos invicem« den Sinn des Aktenstücks vollständig und geriet somit auf eine ganz unrichtige Fährte. Wenn der Autor auch bemerkt, dass der Mann, von dessen Wirken er berichtet, Waltbodo genannt worden sei, so ergibt sich daraus, dass jener ‒ wie Busson a. a. O. 12 richtig bemerkt ‒ als eine »nach außen hin besonders hervorragende Persönlichkeit erschienen sein muss«. Dies begreift sich übrigens bei seinen Dienstleistungen im Interesse des Bundes ganz wohl, da er ja wiederholt als Schiedsrichter aufgestellt wurde, und die Gesandten von Regensburg, welche zu Mainz den Bund beschworen, in seine Hand den Eid ablegten.

Was den zweiten Teil der obigen Stelle der Annales Stadenses betrifft, so kann dieselbe natürlich keinen höheren Wert als den einer mit lebhaftem Kolorit ausgeführten Phrase beanspruchen und trägt höchstens noch dazu bei, den ganzen Bericht Alberts zu verdächtigen. Hiernach ist die auf der fraglichen Stelle der Ann. Stadenses beruhende, von Busson in seinem Aufsatz »Ueber einen Plan an Stelle Wilhelm's von Holland Ottokar von Böhmen zum römischen König zu wählen.« (Archiv für österreichische Geschichte. 40 Band, S. 153) kundgegebene Anschauung: Die feste Einigung einer solchen Anzahl blühender, mächtiger Städte war den Fürsten natürlich höchst unbequem; wenn früh schon manche Große dem Bund beigetreten waren, so geschah dies hauptsächlich, um sich die Städteeinigung nicht vollständig über den Kopf wachsen zu lassen [...?] zu bemessen und muss dieselbe auch schon umdeswillen als unrichtig beanstandet werden, weil sie mit dem oben mehrfach berührten Verhältniss zahlreicher geistlicher und weltlicher Herren zum rheinischen Bund in offenkundigem Widerspruch steht.

Betrachten wir nunmehr die Reihe der Glieder des rheinischen Bundes, so begegnen wir einer großen Anzahl von näheren und entfernteren Verwandten und Freunden Erzbischof Gerhards von hochadelicher Herkunft. So Ludwig Pfalzgraf und Herzog von Bayern, Wildgraf Konrad, Friedrich Graf und Udelhildis Gräfin von Leiningen, Berthold Graf von Ziegenhain, Emicho und Gotfrid Wildgrafen, Ulrich von Münzenberg, Gerlach von Limburg, Philipp von Hohenfels und Philipp von Falkenstein (Vgl. 1256 c. October 2 und unten Tafel V u. VI). Kann es wohl zweifelhaft sein, dass Gerlach umgeben von einer so zahlreichen Sippe im Bund eine stark hervorragende Rolle gespielt und ist es nicht wahrscheinlich, dass jene zahlreichen Familienglieder ihm bei dem Eintritt in den Bund gefolgt sind?

Endlich erkennen wir ein gewiss nicht zu unterschätzendes Indiz für die leitende Stellung, welche der Mainzer Metropolit in dem Bund einnahm, in dem von dem päpstlichen Legaten Peter Capucci an den Mainzer Domdekan Johann am 7. Oktober [Non. Oct.] 1254 gerichteten Ersuchen »quatinus alias Civitates et nobiles parcium illarum per te ac alios moneas attencius et inducas, ut cum predictis huiusmodi pacis federa ineant et observent«. [Köln. Urkb. II, 346] (Vgl. Zurbonsen. in: Forschungen z. d. G. XIII, 295 u. 296, (wo der Erlass des Legaten durch ein Versehen zu Okt. 1 gesetzt ist) und in: Westdeutsche Zeitschrift. Jahrg. II, 42.) Das Schreiben des Legaten schickte der Mainzer Domdekan am 16. März 1255 an den Kölner Domscholaster, und indem er sich hierdurch pflichtschuldigst des ihm gewordenen Auftrags entledigte, besorgte er im Namen des Erzbischofs oder jedenfalls mit dessen Zustimmung ein Geschäft, dessen Vollführung die nächsten Beziehungen Gerhards zu der Besorgung der Angelegenheiten des Bundes voraussetzt.

Das Jahr 1254, in welchem Gerhard den rheinischen Bund beschwor, ist auch noch durch ein anderes bemerkenswertes Ereignis in seiner Regierung bezeichnet, indem allem Anschein nach in diesem Jahr die vita communis der Stiftsherren aufhörte und diese einzelne Wohnungen bezogen. Darauf weisen besonders die Urkunden hin, durch welche die bei dem seitherigen gemeinsamen Leben der Domherren nötigen Stellen aufgehoben, deren Einkünfte aber neugegründeten Vikarien zugewiesen wurden. Ebenso wurden zu deren Unterhalt dem Domkapitel auch von mehreren Klöstern Pfarreien überlassen. (Vergl. unten die Regesten zu 1254 April 16, Juli 15, 16)[5], 19, 24 und 24, September 13, Dezember 17 und 17. Hierher gehört auch die Schenkung der Kirche zu Esenheim bei Straßburg an das Mainzer Domkapitel durch König Wilhelm von 1255 März 16. B‒F, Reg. imp. V, nr 5241 und die Bestätigung dieser Schenkung durch König Richard von 1257 September 15. B‒F, Reg. imp. V, nr 5327.)
Siehe auch: Werner, Der Mainzer Dom. II, 18; Mone, Organisation der Stiftskirchen. in: Zeitschrift f. Gesch. d. Oberrheins. Band XXI.

Wie schlecht die Vikarien wohl damals und später dotiert waren, ersieht man aus der interessanten Publikation von Stechele, Registrum subsidii clero Thuringiae anno 1506 impositi. in: Zeitschrift des Vereins für Thür. Gesch. Neue Folge. Bd. II, Heft 1.

Mit dieser Umgestaltung der äußeren Lebensumstände der Mitglieder des Domstifts mag auch die Einführung von zwei jährlichen Prozessionen derselben nach dem Jakobskloster in Verbindung stehen, indem sich durch dieses kirchliche Auftreten in der Öffentlichkeit das Domkapitel als Korporation zeigte. MS. quidam. in: Joannis, Rerum Mogunt. I, 610; Würdtwein, Sched. de stationibus eccl. Mog. 8.

Bezüglich des Namens unseres Erzbischofs ist zu bemerken, dass derselbe, wie Joannis, Rerum Mogunt. I, 608 und III, 158 ausführt, von älteren Historikern zuweilen fälschlich mit »Eberhardus« verwechselt wurde. Der Name »Erhardus« für »Gerhardus« in Urkundenabschriften würde sich sehr einfach dadurch erklären lassen, dass im Original der unbedeutende Raum für die Initiale nicht ausgefüllt, wohl aber der zweite Buchstabe »E« durch eine Majuskel vertreten war, wie ich dies selbst in dem Original des im fürstlich Solmsschen Besitz zu Lich in der Wetterau befindlichen, im Jahr 1257 für das Kloster Arnsburg ausgestellten Indulgenzbriefs gesehen habe. Auch kommt die Verwechslung »Gebehardus« mit »Gerhardus« vor, z. B. in Leibnitz, Mantissa cod. jur. gent. pars II, 96. Endlich ist »Gerlacus« bei Tenzelius, Supplem. II. hist. Gothanae. 606 im Text für »Gerhardus« in der Urkunde jedenfalls eine Namensverwechselung, wie Joannis R. M. I, 612 erwähnt, und muss die Bemerkung Bodmanns in seinem auf der Stadtbibliothek zu Mainz befindlichen Exemplar des Joannis: »Ego autem censeo, mendum in anni numero, non in nomine haerere«, als ein offenbarer Irrtum angesehen werden.

Gerhards Siegel tragen zwei verschiedene Umschriften. Die eine lautet: »Gerhardus Dei gratia ste Mag. sedis electus et consecratus«, die andere: »Gerhardus dei gratia ste Mag. sedis archiepiscopus«. Besonders bemerkenswert ist es, dass auf Gerhards Siegel zuerst ein Rücksiegel vorkommt. Dasselbe zeigt den heiligen Martinus zu Pferd, wie er ein Stück seines Mantels einem Armen reicht, und führt die äußere Umschrift: »Secretum Gerhardi archiepiscopi Maguntini«. Unmittelbar oberhalb des Bildnisses des heil. Martin steht: »S. Martin« und unterhalb befindet sich zwischen den Füßen des Pferdes ein liegendes »E«. Würdtwein, N. subs. IV, S. IV; Wolf, Gesch. d. Peters-Stifts Nörten. S. XV erwähnt ein Siegel Gerhards von 1259, durch welches »rote, gelbe, grüne und blaue Schnüre von Seide« gehen.

Literatur G. Ch. Gebauer, Leben und denkwürdige Thaten Herrn Richard's, Erwählten Römischen Kaisers. Leipzig, verlegt Caspar Fritsch. 1744 (ein mit großem Fleiß und nicht ohne Kritik gearbeitetes Werk); Tittmann, G. Heinrichs des Erlauchten, Markgrafen zu Meissen und im Osterlande. Leipzig. 1850. Zwei Bände; Ottokar Lorenz, Deutsche Gesch. im 13 u. 14. Jahrhdt. Bd. I. Wien. 1864 u. Bd. II. 1866. Wilhelm Braunmüller; (auch als Separatabdruck erschienen unter dem Titel: Geschichte König Ottokars von Böhmen und seiner Zeit 1866.); D. G. Arnold Busson, Die Doppelwahl des Jahres 1257 und das römische Königthum Alfons X. von Castilien. Ein Beitrag zur Gesch. des grossen Interregnums. Münster. 1866. Druck und Verlag der Achendorffschen Buchhandlung. (Recension in Sybel's hist. Zeitschrift. XVII 184 und 447); Schröer, De studiis Anglicis in regno Siciliae et Alemanniae adipiscendo collocatis. Bonae 1867; W. Wilmanns, Die Reorganisation des Kurfürsten-Collegiums durch Otto IV. und Innocenz III. Berlin. Weidmann'sche Buchhdlg. 1873; Schirrmacher, Die Entstehung des Kurfürstencollegiums. Berlin 1874. Druck und Verlag von Otto Janke; Der Brief. Urbans IV. vom 27. Angust 1263 und die deutsche Königswahl des Jahres 1257. Von C. Rodenberg in: Neues Archiv d. Gesellschaft f. ältere deutsche Geschichtskunde X, 172 flgde. Hieher gehört auch folgende auf den rheinischen Bund von 1254 bezügliche Literatur: Schaab, Geschichte des grossen rheinischen Städtebundes. 2 Bde. 1843, 1845. Zweite Ausgabe 1855; Barthold, Geschichte der deutschen Städte und des deutschen Bürgerthums. (1859) II, 196 flgde.; Arnold, Geschichte der der deutschen Freistädte. (1854) II, 66 flgde; Menzel, Geschichte des rheinischen Städtebundes im 13. Jahrhundert. Zwei Programme von Ohlau. 1857, Ratibor, 1859; Lorenz, Deutsche Geschichte. I, 141 flgde. (1864); Hegel, Städtechroniken. Band XII. 1882. Einleitung; Busson, Zur Geschichte des grossen Landfriedensbundes deutscher Städte. 1874. (Recension von Lindner in: Literarisches Centralblatt 1875 und von Cardauns in Pick's Monatsschrift f. rhein. Gesch. I, 89); Weizsäcker, Der rheinische Bund. 1254. Tübingen. Laupp'sche Buchhandlung. 1879. (Recension in Sybel's historischer Zeitschrift. Neue Folge VI, 119); Weizsäcker, Zum rheinischen Bund von 1254. in: Löher, Archivalische Zeitschrift. IV, 268 flgde. (1879). (Hierzu vgl. Busson in: Jahresberichte der Geschichtswissenschaft. Zweiter Jahrgang II, 66); Zurbonsen, Der Westfälische Städtebund von 1253 bis zum Territorialfrieden von 1298. Münster 1881; Zurbonsen, Der rheinische Landfriedensbund von 1254 im deutschen Norden und in den Niederlanden. in: Forschungen z. d. G. XXIII, 289; Zurbonsen, Zur Geschichte des Rheinischen Landfriedens von 1254. in: Westdeutsche Zeitschrift f. Geschichte u. Kunst. Herausgegeben von Hettner und Lamprecht. Jahrgang II, Heft I, 40; Schliesslich können wir noch anführen: Hintze, Das Königthum Wilhelms von Holland. Leipzig 1885. (Historische Studien. Fünfzehntes Heft).

Fußnotenapparat:

[1] In Christiani Chron. Mog. wird er bei der Nachricht von seiner Erwählung zum Erzbischof »adolescens subdiaconus« genannt, wodurch deutlich genug seine Jugend bezeichnet wird. Der Umstand, dass er erst die Minores hatte, würde nicht beweisen, dass er noch sehr sehr jung war, da zur Aufnahme in ein Stift die Weihe zum Subdiakon genügte, und schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts viele Kanoniker nur Diakonen oder Subdiakonen waren. (Mone, Organisation der Stiftskirchen. in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins. XXI, 24).

[2] Es möge uns gestattet sein, an dieser Stelle eine die Bedeutung genealogischer Untersuchungen würdigenden Äußerung des verdienstvollen Forschers Crollius, mit welcher er seine überaus wertvollen Observationes genealogicae ad Palatinorum Wittelsbacensium, Silvestrium et Ebersteinensium comitum familias. in: Acta academiae Theodoro-Palatinae. Tom. IV, 255 vor mehr als 100 Jahren beginnt, der gegenwärtigen Generation wieder in das Gedächtniss zurückzurufen: »Die Geschichte ist ohne eine richtige Kenntnis der mannigfaltigen Verbindungen herrschender Geschlechter in Absicht auf die daraus entsprungene Verhältnisse, Begebenheiten und Streitigkeiten ohne Nutzen; und dennoch bedarf man in der heutigen klügelnden Welt, der es weniger um Wahrheit, als den Schein, den ihr ein philosophisches Gewand oder die Kunst der Sprache leiht, beinahe eine Entschuldigung, wenn man durch prüfende Untersuchungen die Geschlechts-Geschichte von Irrtümern zu befreien oder zu ergänzen bemüht ist. Dies ist wenigstens einer der nötigsten Vorarbeiten, deren Früchte der wahre Geschichtschreiber einzusammeln hat. Aber freilich sind solche Untersuchungen nicht für Leser, denen für lauter Geisteskraft und, ich weiß nicht was für Gefühlen, die Wahrheit lose Speise ist, nicht für müßige Leser, nicht für leichte Rezensenten, von denen jetzo die welt ihre Weisheit hohlt, sondern nur für diejenige, so den Wert und Einfluss der Wahrheit höher schätzen und solche Materialien der Geschichte zu benutzen, Wissenschaft und historisches Genie besitzen.«

[3] Zur Ergänzung dieser Ausführungen verweisen wir auf das Bündnis von Städten und Fürsten im Jahr 1247. (Vgl. die Regesten Erzbischof Siegfrieds II., Nr. 624).

[4] Hier wollen wir auf die Stelle in einer Urkunde Bischof Heinrichs von Kurland, eines Neffen Erzbischof Siegfrieds III. von Mainz, von 1264 Juni 5 aufmerksam machen, an welcher es heißt: Consueverant enim in naufragium perpessos, contra praeceptum Domini et domini papae decreta, inhumanitus desaevire, quicquid naufragium passis Divina gratia post saevientis ictum fortunae conservaverat, diripere. Igitur ne tam abhominanda consuetudo in successores nostros tam nefandam radicem figat, ipsam radicitus decrevimus exstirpari, statuentes, ut quicunque naufragium apud littora nostri episcopatus, quae nos contingunt, perpessos molestaverit in rebus aut personis, tanquam violator pacis, atque iustitiae comtemptor ac nostrae ordinationis, condigna satisfactione puniatur. Bunge, Livländisches Urkundenbuch. I, 353, nr 271. (Vergl. Ewald, Eroberung Preussens durch die Deutschen. III, 92).

[5] Gudenus, C. d. II, 762 bemerkt zu dieser Urkunde: »Patet hinc, quod in medio Seculi XIII contubernium quasi claustrale dissolutum fuerit; Canonicis aedes habitare separatas incipientibus.«

Quellenansicht

Keine

Metadaten

Zitierhinweis:

BW, RggEbMz 35 Nr. 001a, in: Die Regesten der Mainzer Erzbischöfe, URI: http://www.ingrossaturbuecher.de/id/source/21671 (Zugriff am 28.03.2024)