Projektbeschreibung

Das epochenübergreifend angelegte Projekt des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. [IGL] hat sich die inhaltliche Erschließung der sog. Mainzer Ingrossaturbücher zum Ziel gesetzt.

»Ingrossate« sind Eintragungen (Reinschriften) von Brief- und Urkundentexten zur abschließenden Korrektur und Überprüfung, bevor sie ausgefertigt, besiegelt und dem Empfänger überreicht bzw. zugeschickt wurden. Die 107 erhaltenen Bände der Mainzer Ingrossaturbücher bilden somit ein zentrales Register der ausgehenden Urkunden und Korrespondenzen der Kanzlei des Mainzer Kurstaates. Die zum großen Teil noch völlig unbekannten Urkundenabschriften und -kopien bilden für die landes- und reichsgeschichtliche Forschung einen Quellenbestand ersten Ranges. 

Die seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in der Kanzlei des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs entstandenen Ingrossaturbücher umfassen den Überlieferungszeitraum von ca. 1220 bis 1803. Die Amtsbuchserie mit einem Gesamtumfang von 107 großformatigen Foliobänden entwickelte sich im 15. Jahrhundert zum zentralen Urkundenregister der Mainzer Kanzlei, das primär die ausgehenden Pergamenturkunden in Abschrift dokumentiert, aber darüber hinaus bereits am Ende des Spätmittelalters Kopien von Korrespondenzen und Verträgen enthält. In der frühen Neuzeit wird dieses Textkorpus umfänglich ergänzt durch die Aufnahme von besonders relevantem Material auch aus weiteren zeittypischen Schriftgutskategorien, darunter Verordnungen, Regierungsbefehle, wichtige Verwaltungsbriefe sowie Handwerks- und Zunftordnungen.

Die Entstehung dieser Serie im 14. Jahrhundert und ihre anfängliche innere Gliederung steht in engem Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen Territorialstaatsbildung und der damit verbundenen zunehmenden Verschriftlichung einer Verwaltung, die im Prozess der Herrschaftsverdichtung notwendig auf gesteigerte Effizienz hin zu orientieren und entsprechend den Veränderungen des Verfassungsgefüges neu zu strukturieren war.

Aufgrund der besonders herausgehobenen Position des Mainzer Erzbischofs als ein auf Reichsebene verfassungsrechtlich zunehmend mit Prärogativen ausgestatteter Kurfürst, der eine Politik der besonderen Nähe zum Königtum verfolgen konnte, und als Primas Germaniae, der dem größten deutschen Metropolitanverband vorstand, werden in dem Material aber über die territorialstaatlichen Aspekte hinaus auch bereits für das 14. und frühe 15. Jahrhundert weiträumig ausgreifende Bezüge nicht zuletzt von reichspolitischer Relevanz deutlich.

Die frühen Bände der Ingrossaturbücher mit einem klaren Schwerpunkt im 14. Jahrhundert verzeichnen sowohl ausgehende wie auch einlaufende Urkunden nach bestimmten inhaltlichen und regionalen Aspekten. So enthält der erste Pergamentkodex dieser Reihe nahezu ausschließlich Dokumente über Lehen, Burgen, Burgmänner und Vasallen des Erzstifts, der zweite überwiegend mainzische Ritterlehensbriefe sowie die Beurkundungen von Burgöffnungen und Verpfändungen, während etwa die Bücher 6 bis 7 eine ausgewählte Überlieferung für die hessischen und thüringischen Besitzungen des Erzstifts zusammenfassen. Die Kanzleischreiber haben hierzu an den unterschiedlichen Archivstandorten des Kurstaates auch Abschriften von Originalen genommen und darüber hinaus auf eine ältere, heute nicht mehr erhaltene Registerüberlieferung zurückgegriffen. Das frühe Material konzentriert sich insgesamt gesehen in besonderem Maße auf die Erfordernisse der landesherrlichen Verwaltung. Die Themenschwerpunkte korrespondieren dabei mit der Bedeutung des fortschreitend verschriftlichten Lehnswesen und der als Herrschaftsinstrument und Verwaltungsmittelpunkt fungierenden Burg für die Territorialstaatsbildung. Die ersten Bände der Serie - noch nicht Register im engeren Sinne, sondern thematisch orientierte Urkundenabschriftensammlungen - sind insoweit zunächst Ausdruck einer auf Arrondierung und Sicherung der territorialpolitischen Stellung nach außen sowie auf Konsolidierung der inneren Strukturen hin angelegten Politik. Daneben entstanden Kodizes mit Dokumenten zur geistlichen Verwaltung.

Die Bedeutung dieses Bestandes für die Reichsgeschichte nimmt insbesondere im Verlauf des 15. Jahrhunderts parallel zur Erweiterung der verfassungsrechtlichen Stellung der Mainzer Kurfürsten auf Reichsebene ganz erheblich zu. Zugleich vollzieht sich der Wandel dieser Amtsbuchserie von thematisch orientierten Zusammenstellungen hin zu einem Register der auslaufenden Urkunden der Mainzer Kanzlei mit einer umfassenden Dokumentation substantieller Schriftstücke.

Der Mainzer Kurfürst-Erzbischof strebte im 15. Jahrhundert auf der Grundlage der inzwischen ausgebildeten bevorrechtigten Position in der korporativen Struktur des Kurfürstenkollegs u. a. durch Drängen auf die reale institutionelle Füllung seines Reichserzkanzlertitels den Ausbau seiner anfänglich noch schwachen Bevorzugung zu einer reichsrechtlich deutlich exponierten Stellung an. In diesem Zusammenhang gewann der Mainzer Kurfürst in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zunehmend Einfluss auf die sich formierende Reichsverfassung. Parallel zu diesem über die Epochengrenze zur frühen Neuzeit hinweg auch im 16. Jahrhundert weitergeführten Prozess, in dem der Mainzer Erzbischof zeitweilig als Schaltstelle der reichspolitischen Reforminitiativen fungierte, bieten die Ingrossaturbücher zur Geschichte der Reichsreform und der Reformation bedeutsames Material.

Das Institut für Geschichtliche Landeskunde baut auf der Grundlage der Mainzer Ingrossaturbücher, unter Einbeziehung der in dieser Datenbank enthaltenen gedruckt vorliegenden Erzbischofsregesten (8. Jh. bis 1374) und unter Heranziehung weiterer Quellenbestände eine Regestendatenbank zur Geschichte des Mainzer Erzstiftes auf. Diese digitale Edition erschließt die urkundliche und chronikalische Überlieferung für die Zeit vom frühen 8. Jahrhundert an und ist zunächst bis zum Ende des 16. Jahrhunderts projektiert.